Angedacht
Ich will dem HERRN singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin. Psalm 104,33
Liebe Leserinnen und Leser! Ernst Barlach hat 1928 eine eindrückliche Plastik geschaffen. Sie heißt: „Der singende Mann“. Es ist eines seiner bekanntesten und beliebtesten Werke, vielleicht zusammen mit der Skulptur ‚Die Schwebende‘ im Dom zu Güstrow. Ein Schweben liegt auch über dem singenden Mann. Er ist völlig in sich versunken, mit geschlossenen Augen und geöffnetem Mund dargestellt, das Haupt leicht in den Nacken gelegt. Das Gleichgewicht behält der Sitzende dadurch, dass die Hände um ein angewinkeltes Knie geschlungen sind. Er lauscht mit geschlossenen Augen in sich hinein. Der Sänger wirkt völlig gelöst, und trotzdem konzentriert und hingegeben. Hingegeben an den Gesang. Die befreiende Wirkung der Musik lässt ihn gelassen werden. Diese Bronzearbeit ist überaus fein gearbeitet und doch ganz klar strukturiert. Die Gestalt ist ganz bei sich und doch ganz woanders. Die Augen sind geschlossen. Doch der Mund öffnet sich. Aus seinem Herzen strömt die Freude. Die Psalmen sind in der Geschichte des jüdischen Volkes immer ein Liederbuch gewesen. Das Gotteslob ist gesungen worden. Es ist wörtlich gemeint, jenes: „Ich will singen dem Herrn mein Leben lang.“ aus Psalm 103,22. Das Singen im Glück, das geht uns häufig ganz einfach von den Lippen, da können wir unseren Mund ganz einfach weit öffnen, wie der singende Mann und unser Gotteslob hinausströmen lassen. Aber in unserem Psalmvers ist ja nicht nur von Glücksmomenten und freudigen Situationen die Rede, sondern es heißt dort „mein Leben lang“. Also auch dann, wenn von Glücksmomenten gar keine Rede sein kann, im ganz normalen Alltag aber auch in Situationen, die von Schmerz und Angst geprägt sind, in denen Krankheit und Sorge vorherrschen. In denen gerade unter normalen Umständen kein Lied über unsere Lippen geht oder zumindest nicht so leicht und voller Hingabe, wie hier beim singenden Mann. Sorgen sind gewichtig. Sie machen das Gehen schwer und beugen uns, sodass wir oft nur noch sehen, was uns den Weg versperrt und kein Heil, keine Heilung für uns in Sicht ist. In unserer Welt, herrscht ein bestimmtes Verständnis von Heil und Heilung vor. Geheilt ist der, der keine Beschwerden mehr hat, bei dem eine Krankheit ein für alle Mal überwunden ist. Heilung heißt dann: Es ist alles wieder wie vorher. Und viele erwarten von Gott dasselbe. Wenn er heilt und hilft, dann sind alle Probleme vom Tisch. Alles ist wieder gut. Aber vielleicht ist das ein sehr einfaches, zu einfaches Verständnis von dem, was Heilung und Hilfe bedeuten könnte. Mich hat vor einiger Zeit eine Frau in einer Fernsehreportage beeindruckt. Sie ist jung, um die 30 und unheilbar an Krebs erkrankt. Sie wird von einem Palliativteam zu Hause gepflegt. Und diese Unterstützung, die ihr hilft, möglichst eigenständig und schmerzfrei zu leben, ist ihr wichtig. Dass sie trotz allem und in dem allen doch zufrieden, ja mehr noch: durchaus fröhlich ist, hängt auch mit ihrer Sicht auf die Krankheit zusammen. „Manchmal kann ich nur krächzen, aber mein Herz geht auf, wenn andere mit mir zusammen singen. Die Krankheit gehört doch zu mir und zu meiner Geschichte und Gott ist bei mir.“, sagt sie. Für mich gehört auch dieses Bild, diese Situation zum „heil sein“ dazu, dass ich versöhnt mit meiner Lebensgeschichte leben kann, denn Gott ist bei mir. Das aber kann ich nicht machen, sondern das ist ein Geschenk Gottes. Sein Versprechen, durch Jesus Christus im Tod eine Tür ins ewige Leben aufzustoßen, kann dazu beitragen, auch jetzt schon Frieden mit der eigenen Lebensgeschichte zu schließen, auch wenn sie erheblich belastet ist und bleibt. Ernst Barlach hat einmal gesagt: „Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich“. Tiefgründiger, bescheidener, tröstlicher lässt es sich wohl nicht sagen. Gott kann man nicht haben, wie ein Ding, nicht besitzen, wie eine Sache. Ihn kann man nicht festhalten, er fügt sich nicht unseren Erwartungen und Wünschen. Er bleibt unverfügbar. Seine Gegenwart und Nähe, seine Liebe zu uns in Jesus Christus bleibt Geschenk. Denkt an das Wunder von Philippi in dem Gott die Gefängnismauern durch den Gesang von Paulus und Silas zum Einsturz bringt (Apg. 16, 23-34) und unterschätzt ihn bitte nicht! Wer weiß, was geschieht! Auch das „Singen im Herzen“ zählt! Gottlob weist unsere persönliche, uns oftmals als zugemauert erscheinende Welt seit Jesu Auferweckung doch mehr „Risse von drüben“ auf, als wir zunächst bemerken! Denn dieser unverfügbare Gott, der kommt uns ja ganz nahe, wendet sich uns zu in seinem Sohn Jesus Christus und wir haben Ostern im Rücken. „Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich“. Denn das ist ja das Tröstliche und Wertvolle, das Kostbarste, dass er uns zwar unverfügbar bleibt und wir ihn, unseren Gott nicht festhalten können. Aber dass auf der anderen Seite Gott dich hat, dich erlöst hat und darin auch heil macht und hält bis in deine letzten Atemzüge hinein und zu dir spricht: Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit. (Jesaja 41,10) Möge dir jenes: „Ich will singen dem Herrn mein Leben lang.“ Kraft geben nicht nur im Glück, auch in Schmerz und in der Angst. Jeden Tag! Eine gesegnete Osterzeit und Gottes Geleit darüber hinaus wünscht Michael Hüstebeck, Pfarrer
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